Am Mittwoch, 26. April 2023 fand das zweite BBZ BL Symposium in den ÜK-Räumen des regionalen Branchenverbands der Gebäudetechnik, Suissetec Nordwestschweiz, in Liestal statt. Das BBZ BL lud gemeinsam mit Suissetec zu einem Abend, an dem der Fachkräftemangel in den Handwerksberufen thematisiert wurde. Hat Handwerk noch goldenen Boden? Wieso absolvieren immer weniger Jugendliche eine handwerkliche Lehre? Diesen Fragen wurde in einem Inputreferat und in der anschliessenden Podiumsdiskussion nachgegangen. Eingeladen waren Entscheidungsträger/innen aus Politik, Bildung, beruflicher Praxis und Verwaltung.
Nach der Begrüssung der Referenten und Gäste durch Gastgeber Dominique Tellenbach hielt Regierungsrätin Monica Gschwind, Vorsteherin der Bildungs-, Kultur und Sportdirektion, eine Eröffnungsrede, in der sie auf die Wichtigkeit des Themas hinwies, da sich die Situation des Fachkräftemangels in den Handwerksberufen zuspitze.
Die Regierungsrätin erklärte zunächst, dass die Berufsbildung in der Schweiz mit über 250 Lehrberufen sehr vielseitig sei und immer auf der Höhe der Entwicklungen sein müsse, weil die Ausbildung in den Unternehmen selbst stattfindet und nicht in staatlichen Lehrwerkstätten. Dadurch könnten sich Lernende denn auch stark mit ihrem Lehrbetrieb identifizieren. Dass es aber auch Weiterbildungen benötigt, sei allen klar. Die Frage stelle sich, warum handwerkliche Berufe zunehmend unpopulär seien, obwohl die Karrierechance und Löhne so gut seien wie noch nie. Auch könne man sich fragen, ob Unternehmen zu hohe Anforderungen an die Jugendlichen stellen oder ob diese in den letzten Jahren schulisch schwächer geworden seien. Dies sind wichtige Aspekte, die es laut Monica Gschwind anzuschauen gilt: «Das Thema bewegt. Ich freue mich auf den Abend und erhoffe mir Inputs, um anzusetzen, damit handwerkliche Berufe für junge Menschen attraktiver werden.»
Professor Dr. Markus Maurer, Dozent und Inhaber der Professur für Berufspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Zürich, wies in seinem Inputreferat auf verschiedene Aspekte zum Thema hin. Auf die Frage, warum immer weniger Jugendliche eine handwerkliche Lehre absolvieren, nannte er die entscheidende Rolle, die dabei Eltern, die Peer-Group, Lehrpersonen sowie auch die Akademisierung im Allgemeinen spiele. Auch auf die Konkurrenzsituation der Betriebe wies er hin und auf den Unterschied in der Attraktion der Berufe; so sei das Interesse an Berufen in der Bildung und im sozialen Bereich in den letzten 20 Jahren stark gewachsen. Das Interesse für Berufe im Detailhandel und im Baugewerbe dagegen habe stark nachgelassen, und auch die Druckberufe und das Coiffeur-Gewerbe hätten es schwer.
Markus Maurer nannte als wichtigen Einfluss den wirtschaftlichen Kontext des Lehrstellenmarktes. Es gebe vor allem in den Gesundheitsberufen, aber auch in der IT-Branche, bei den Ingenieur/innen und Bauführenden einen Fachkräftemangel. Als weiteren Einfluss nannte er die soziale Mobilität durch die Zunahme der globalen Orientierung; maximale Selbstverwirklichung und maximale Verdienstmöglichkeiten würden angestrebt.
Als letzten wichtigen Einfluss nannte er schliesslich das Bildungssystem und dessen globale Entwicklung: «Es gibt einen Prozess der globalen Bildungsexpansion.» Damit würden Bildungsabschlüsse an Wert verlieren. Der globale Trend gehe klar auf Kosten der Berufsbildung. In der Schweiz sei die Situation aber noch nicht ganz so schlimm, weil der Anteil der Berufslehre hier insgesamt gesehen sehr hoch sei. So habe der Anteil der besetzten Lehrstellen im August 2022 gesamtschweizerisch bei 90% gelegen.
Als weitere Schwierigkeit sprach Markus Maurer die Defizite von jungen Lernenden in den Fächern Mathematik und Sprachen an. In der Schweiz falle ausserdem der grosse Leistungsunterschied zwischen Jugendlichen mit unterschiedlichem sozialen Hintergrund auf. Als Leidtragende nannte er die Handwerksbetriebe, die kaum Lernende finden, welche den schulischen Anforderungen gerecht würden. So sei der Anteil der schulisch leistungsstarken Lernenden, die eine Lehre absolvieren, gesunken. Ein weiteres Problem für viele Betriebe sei, dass Ausgelernte nach wenigen Jahren entweder den Betrieb oder sogar den Beruf wechseln. Bereits jetzt geben daher viele Handwerksbetriebe Lernenden eine Chance, die schulisch eigentlich die Voraussetzungen nicht mitbringen. Umso wichtiger werden dann Unterstützungs- und Förderangebote während der Lehre.
Auch erwachsene Lernende, die bereits über einen Berufsabschluss verfügen, sollten eine Chance für eine Zweitlehre erhalten und mit einem Entgegenkommen der Betriebe (durch eine verkürzte Lehre und/oder durch bessere Entlöhnung) belohnt werden.
Ganz wichtig ist in seinen Augen, dass die schulische Anforderung bei den Berufsreformen hoch gehalten werden: «Wenn diese Anforderungen hinuntergeschraubt werden, verlieren die Berufe automatisch ihren Status. Ein gewisses Grundlagenwissen muss im Zentrum stehen, Fachwissen veraltet nicht bereits nach vier Jahren.» Auch seien Fortbildungsmöglichkeiten sehr wichtig, um die Erhöhung der Attraktivität von Lehren zu gewährleisten. Hier bekommt die Höhere Berufsbildung (Tertiär B) eine entscheidende Rolle. Wenn Eltern und Lehrpersonen wissen, dass im Anschluss an eine Lehre eine höhere Ausbildung auch ohne Berufsmaturität möglich ist, so steigert das die Attraktivität der Berufslehren. Schliesslich sei das Lobbying für die Berufsbildung auf kantonaler Ebene zentral. Der politische Wille sei da, wenn Betriebe die Lehre als Investition ansehen.
Auf dem Podium diskutierten anschliessend unter der Gesprächsleitung von Dominique Tellenbach die Fachleute Rosi Wohlgemuth, Präsidentin Suissetec Nordwestschweiz, Luc Musy, Präsident des Branchenverbands der Metallindustrie AM Suisse Nordwestschweiz, Nicole Cornu, Zentralsekretärin Bildungspolitik und Jugend beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund, Prof. Dr. Markus Maurer und die Schreiner-Lernende Madeleine Montagne sowie der Maler-Lernende Rosario Jauslin.
Verschiedene Themen wurden auf dem Podium erörtert, so unter anderem, wie der Fachkräftemangel in den eigenen Betrieben wahrgenommen werde oder, an die Adresse der beiden Lernenden, aus welchen Gründen sie ihre Lehre gewählt hatten. Pointiert waren die Aussagen der Schreiner-Lernenden Madeleine Montagne, die spät zu ihrer Lehre gefunden hatte, nach Abbruch eines Studiums, und die auf verschiedene Schwierigkeiten hinwies: «Mit 15 weiss man noch nicht wirklich, was man später beruflich machen möchte. Man hat in diesem Alter tausend andere Dinge im Kopf, das macht es schwierig. Wichtig ist ausserdem, welches Klima im Lehrbetrieb herrscht. Wenn wir Lernenden «Stifte», und damit «kopflose Nieten», genannt werden, macht es natürlich keinen Spass. Wir sind Lernende, die mitarbeiten und tun, was wir können.»
Nicole Cornu findet, es sollte verpflichtende Aus- und Weiterbildungen für Praxisbildner/innen angeboten werden. Sie sprach davon, dass es in den meisten Fällen gut funktioniere, aufgrund der Eigenmotivation der Betriebe, ihre Lernenden professionell auszubilden. Luc Musy sprach von den Lernenden als «wertvolles Gut», die man wertschätzen und pflegen sollte.
Auf den Marketing-Aspekt angesprochen, meinte Nicole Cornu, dass Weiterbildungen für Arbeitnehmende wichtig seien, auch um das Lohnniveau verbessern zu können. Wichtig findet sie aber, dass sich auch Arbeitnehmende weiterbilden können, die sich keine weitere Ausbildung leisten können. Man müsse deshalb mehr an der Basis investieren, um Kompetenzen zu fördern und Lernende, aber auch Erwachsene zu stärken. Die Berufsmaturität sei wichtig, jedoch dürfe dieser Weiterbildungsweg nicht der einzige Pfeiler der Marketingstrategie sein.
Die Lernenden sprachen davon, dass für sie Weiterbildungsmöglichkeiten normal seien: «Wir bleiben vermutlich nicht ewig in dem Beruf, den wir gelernt haben. Wir haben keine Angst vor Weiterbildungen.» «Heute wollen viele Jugendliche möglichst schnell Erfolg haben», sagte Rosario Jauslin. Deswegen sei es bei der Berufswahl wichtig zu wissen, welche Weiterbildungsmöglichkeiten man habe.
Rosi Wohlgemuth warf ein, dass sie gerne ausgebildete Lernende im eigenen Betrieb behalten möchte, auch wenn mit der Berufsmaturität die Möglichkeit zu einem Studium an einer Fachhochschule verbunden ist: «In den Köpfen vieler ist ein Studium immer noch mit mehr Prestige verbunden.» Luc Musy ergänzte, dass immer wieder gute Leute verloren gehen, weil ausgebildete Handwerker gefragt seien. «Hier sollten wir selbstkritisch sein und uns verbessern, damit wir die Ausgebildeten nicht verlieren.»
Auf die Frage von Dominique Tellenbach, was sich die Podiumsteilnehmenden von der Politik wünschen, antwortete Nicole Cornu, dass bei Überschüssen der Kantone auch Geld gesprochen werden sollte, gerade bei der Unterstützung in den Grundkompetenzen wie Mathematik und Sprachen oder auch für Ergänzungshilfen bei Lernenden, die schon im Leben stehen. Rosi Wohlgemuth wünscht sich, dass in der Mittelstufe die naturwissenschaftlichen Fächer, aber auch Werken und Handarbeit ausgebaut werden sollten, anstatt Frühfranzösisch weiter zu verfolgen. Luc Musy antwortete, dass auf der Sekundarstufe die Berufslehre im Berufswahlprozess mehr in den Mittelpunkt gerückt werden sollte. Auch Lehrpersonen würde es guttun, ab und zu ein Praktikum in einem Betrieb zu absolvieren, damit so das Verständnis für die Berufswelt gefördert werden könne. Die beiden Lernenden wollen weg vom Image, dass eine Lehre «Drecksarbeit» bedeute und fordern neben einer korrekten Ausbildung auch eine stärkere Kontrolle, ob die Lehrbetriebe korrekt ausbilden. Ausserdem wünschen sie sich, dass den Lernenden mehr Respekt entgegengebracht werde.
Auch das Publikum beteiligte sich rege an der Diskussion. Beat Lüthy, Leiter des Amts für Volksschulen Basel-Landschaft, äusserte seine Sorge, dass Jugendliche zunehmend keine Motivation mehr hätten, eine Lehre zu absolvieren, und nach dem Schulabschluss als ungelernte Hilfskraft einsteigen, weil so die Entlohnung höher sei. Markus Maurer ergänzte, dass dies ein grosses Problem in der Baubranche sei und mit den entsprechenden Verbänden angeschaut werden müsse, aber auch mit der Volksschule, die den Lernenden, aber auch den Eltern die Wichtigkeit einer Lehre aufzeigen solle. Der Maler-Lernende Rosario Jauslin kennt dieses Phänomen von ehemaligen Klassenkameraden, die kurzfristig denken, das schnelle Geld anstreben und ohne Berufsausbildung direkt in den Arbeitsprozess einstiegen.
Lukas Felix, Stadtrat von Liestal, fragt sich, ob wir den Kindern und Jugendlichen das Richtige mitgeben, damit sie in einem Beruf erfolgreich sind, den sie zehn Jahre später ausführen werden. Die Frage nach der Qualifikation beantwortet Markus Maurer mit dem Lehrplan 21, bei welchem viele Lehrziele sehr detailliert dargelegt werden, jedoch wünscht er sich auch eine Evaluation, um zu sehen, inwiefern sich die Grundkompetenzen im Laufe der Zeit verändern.
Maya Graf, Ständerätin Baselland, wollte wissen, wie man mehr junge Frauen für eine handwerkliche Berufslehre begeistern könne. Darauf reagierte die Schreiner-Lernende Madeleine Montagne mit der Aussage, dass noch in viel zu vielen Betrieben eine Atmosphäre herrsche, in der sich junge Frauen nicht wohlfühlen. «Unsere Gesellschaft ändert sich und die Betriebe müssen sich mitändern. Das ist keine reine Männersache mehr!»
Marc Scherrer, Vizedirektor der Wirtschaftskammer Baselland und Schulratspräsident des BBZ BL, wollte von den Lernenden wissen, welches Image die Berufslehre in ihrem Umfeld, in der Peer-Gruppe, habe. Rosario Jauslin sprach von einer Zweiklassen-Gesellschaft: «Die schulisch Besseren gehen ans Gymnasium oder an die FMS, die Schlechteren machen eine Lehre». Diese Trennung empfindet er als falsch. Man solle stark bleiben und auch als starker Schüler oder Schülerin eine Berufslehre machen, wenn man das wolle. Gerade in der Volksschule solle man wieder vermehrt auch auf die Vorteile einer Berufslehre hinweisen.
Den anschliessenden Apéro im ÜK-Lokal der Suissetec gestalteten die Baselbieter Bäuerinnen. Er bot Gelegenheit zum Austausch bei intensiven Gesprächen.
Gastgeber Dominique Tellenbach freute sich über das zahlreiche Erscheinen der Gäste und über den spannenden Abend: «Das Thema scheint zu bewegen, was mir insbesondere die angeregten Diskussionen im Anschluss an die Veranstaltung zeigten. Wir werden auch künftig versuchen, im Rahmen der BBZ BL Symposien aktuelle Themen aufzugreifen und mit den Entscheider/innen aus Politik und Wirtschaft zu diskutieren.»
Wie die Situation auf dem Lehrstellenmarkt zukünftig aussehen wird, ist ungewiss. Dass aber etwas getan werden muss, um dem Mangel an Fachkräften in Handwerksberufen entgegen zu wirken, ist deutlich geworden.
Auch, dass es dazu die Zusammenarbeit von Politik, Verbänden, Betrieben und der Schule benötigt. Ausserdem hat sich gezeigt, dass bei der Berufswahl neben den Eltern und den Peers auch die Lehrpersonen eine wichtige Rolle spielen. Die Herausforderungen und Lösungsansätze liegen auf dem Tisch, und alle Beteiligten haben den Willen, sie anzugehen. Insofern ist die Ausgangslage für eine Stärkung der Berufsbildung vielleicht so gut wie selten zuvor, auch wenn die aktuellen Zahlen etwas anderes suggerieren.